Bericht

Brittens `Peter Grimes', Aufführung vom 30. Mai 1998
Am 17. Mai hatte die Neuinszenierung von Brittens 'Peter Grimes' Premiere an der Hamburger Staatsoper, dem Ort, an dem 1947 die deutsche Erstaufführung dieser zwei Jahre zuvor uraufgeführten Oper stattfand. Die Aufnahme dieser Neuproduktion war sehr gespalten - von Begeisterungsstürmen bis strikter Ablehnung der Inszenierung. Bei den dem Libretto zu Grunde liegenden Verserzählungen 'The Borough' von George Crabbe, der wie Britten aus der Grafschaft Suffolk an Englands stürmischen, rauhen Ostküste stammt, war Peter Grimes eine äußerst negative Figur gewesen. Ob der Tod von drei in seiner Obhut befindlichen Schiffsjungen wirklich Morde waren oder durch sein Verhalten provozierte Unglücksfälle, sein Ausschluß aus der Gemeinschaft des Fischerdorfes erschien auch durch andere, kriminelle Handlungen wie Schmuggel und Fischwildern gerechtfertigt. Britten hat seinen Protagonisten schon differenzierter gezeichnet, bei der jungen Regisseurin Sabine Hartmannshenn wurde er ganz zu einer 'Lichtfigur', während die Masse das Individuum zwangsläufig ins Unglück stürzt. Eine Interpretation, die auch Brittens Lebenspartner und der Peter Grimes der Uraufführung, Peter Pears, in seiner Analyse unterstützt. Eine einseitige Parteinahme für Peter Grimes wurde in er Hartmannshenn-Inszenierung durch die Choreographie, die Kostüme und das Bühnenbild noch verstärkt. Alle Bewohner des Fischerdorfes einschließlich der in Peter Grimes verliebten Lehrerin Ellen Oxford sind in verschiedenen Grau-Schwarz-Tönen dargestellt ebenso das meist im Dämmerlicht gehaltene Bühnenbild, sofern es nicht den Hintergrund für Peter Grimes Auftritt liefert. Beides bewirkt eine düstere, bedrohliche, in Verbindung mit Brittens Musik packende Atmosphäre. In seiner champagnerfarbenen Kleidung leuchtet Peter Grimes in eindringlicher Weise dargestellt von dem amerikanischen Tenor Neil Shicoff hervor. Eine ähnliche 'Lichtfigur' außer ihm ist nur noch der kleine Waisenjunge, der ebenfalls in leuchtende Farben getaucht wird. Eine gewollte - im wahrsten Sinn des Wortes - schwarz-weiß-malende Inszenierung. Wenn dies ihr Ziel war, so ist es Sabine Hartmannshenn gelungen, dies anschaulich umzusetzen. Einigen Besuchern und Kritikern war dies jedoch eine zu undifferenzierte Interpretation des Stückes, die nicht dessen Möglichkeiten ausschöpfte. Verblüffend war jedoch, mit welch' einfachen Mitteln eine treffende Atmosphäre erzielt wurde. Das schlichte Bühnenbild führte zur Konzentration auf das Wesentliche.
Peter Grimes und Junge
Neil Shicoff (Peter Grimes) und Dino Düwel (Waisenjunge)

Foto: Vincent Leifer  Tel. 03 83 52 / 2 70
Musikalisch gesehen war die Inszenierung über jeden Zweifel erhaben. Das Geschehen auf der Bühne ist universal. Das Bedürfnis der Masse, 'Schuldenböcke' zu suchen für ihre eigenen Unzulänglichkeiten, ist nicht nur in einer britischen Kleinstadt des 19. Jahrhunderts zu finden. 'Peter Grimes' gibt es überall. Wer sich nicht anpaßt, zieht allerorts das Mißtrauen und den Zorn der Masse auf sich. Wird zum Verbrecher gestempelt, noch ehe er eine Tat begonnen hat. Die Musik Benjamin Brittens ist es, die den Zuhörer an die Meeresküste versetzt und das Meer ist musikalisch gesehen der eigentliche Hauptdarsteller. Ob Sturm oder fast trügerische Ruhe, es bestimmt wie das in Ewigkeit endende Schicksal der Menschen ihr Handeln. Der 'Peter Grimes' Brittens und Neil Shicoffs ist ein zwischen Aggressivität, Unsicherheit, Mitleid, Verachtung seiner Mitmenschen und gleichzeitiger Sehnsucht nach ihrer Anerkennung, Visionen und Tagträumen von einem besseren Leben hin- und hergerissener Mensch und damit fast ein Mensch wie alle anderen - und doch anders, weil er versucht, als kompromißloses Individuum außerhalb der Masse zu bestehen. Neil Shicoff ging in dieser Figur auf und gab musikalisch wie darstellerisch eine ergreifende, zutiefst bewegende, psychologisch überzeugende Leistung, die mit anhaltendem Applaus bedacht wurde. Ebenso ideal besetzt war die Rolle der in Peter Grimes verliebten Lehrerin Ellen Oxford mit der kanadischen Sopranistin Adrianne Pieczonka, die sich in berührenden Lyrismen erging. Auch alle Nebenpartien waren hervorragend besetzt, allen voran Gregory Yurisich als Grimes als einziger Freund beistehenden Ex-Kapitän Balsrode, der ihm angesichts der Ausweglosigkeit nach dem Tod des zweiten Schiffsjungens und der drohenden Lynchjustiz durch die Dorfgemeinschaft den Selbstmord auf See nahelegt, den Peter Grimes letztendlich auch entgegensteuert.
Ellen Oxford und Balsrode
Adrianne Pieczonka (Lehrerin Ellen Oxford) und Gregory Yurisich (Ex-Kapitän Balsrode)

Foto: Vincent Leifer  Tel. 03 83 52 / 2 70
Obwohl in der Masse bedrohlich, sind die einzelnen Figuren der Dorfgemeinschaft von Britten durchaus liebevoll gezeichnet und bleiben auch in der Inszenierung von Sabine Hartmannshenn als Individuen bestehen, die erst in der gesichtslosen Masse zur Gefahr für den Einzelnen werden.  Ingo Metzmacher, in seiner ersten Spielzeit als GMD an der Hamburgischen Staatsoper bereits in seiner fünften Premiere am Pult stehend, meisterte mit den Philharmonikern alle Schwierigkeiten, die der häufige Rhythmuswechsel und die Kombination der verschiedenartigsten Klangelemente mit sich bringt. Bei den sechs Zwischenspielen wird es schnell klar, warum sie heute ein sinfonisches Eigenleben führen. Die dämonische, unheilbringende Kraft der Masse bricht vor allem in zwei Chören hervor: wenn die Männer angetrieben und aufgehetzt von der Trommel in der ersten Szene des zweiten Aktes zu Peter Grimes Haus ziehen und wenn die Dorfgemeinschaft in der ersten Szene des dritten Aktes in Progromstimmung zur Lynchjustiz ansetzen. Dann kann man sich eigentlich nur wünschen, daß man nicht selbst ihr Opfer wird.
 

Birgit Popp

 

Weitere Vorstellungen wird es in der Saison '98/'99 am 22., 25., 28. November und am 1., 4., 7., 10., 14. Dezember 1998 geben. Die Partie des Peter Grimes wird bei diesen Aufführungen Jan Blinkhof singen, die der Ellen Oxford Susan Chilcott. Gregory Yurisich is erneut als Balstrode zu erleben.

 

Opera Notes