Premierenbericht

`Manon'-Premiere an der Deutschen Oper Berlin
Der Juni an der Deutschen Oper Berlin steht im Zeichen des französischen 'Bestseller'-
Komponisten Jules Massenet (1842 - 1912). Auftakt bildete am 10. Juni die Premiere von 'Manon', am 20. Juni folgt die Premiere einer konzertanten Einstudierung von 'Werther'. Der 1731 erschienene Roman von Abbé Prévost 'Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut' wurde mehrfach vertont. Die erste bekanntere Oper war die 1956 von Auber in Paris uraufgeführte 'Manon Lescaut'. 1884 folgte Massenets 'Manon', die sich von den genannten Werken am meisten an die Romanvorlage von Prévost hält, 1893 Puccinis 'Manon Lescaut', die sich auf den Opernbühnen der Welt am stärksten durchgesetzt hat, und 1952 Henzes Oper 'Boulevard Solitude', die in einer Neuproduktion in diesem Jahr am Opernhaus von Frankfurt am Main einen beachtlichen Erfolg feierte.
Die Premiere von 'Manon' an der Deutschen Oper war von einigen krankheitsbedingten Ausfällen überschattet. Bereits während der Probenzeit mußte der spanische Bariton Manuel Lanza, der im April noch an der Deutschen Oper neben Alfredo Kraus und Lucia Aliberti in 'Lucia di Lammermoor' geglänzt hatte, aus Krankheitsgründen absagen. Ein Schritt, den Manuel Lanza sehr bedauerte, denn er hatte seiner ersten Neuproduktion an einer deutschen Bühne mit Freude entgegengesehen.
Marc Barrard
Der französische Bariton Marc Barrard (Lescault)
Für ihn sprang der französische Bariton Marc Barrard ein, der den Lescaut bereits in Frankreich gesungen hat. Dies sollte jedoch nicht der einzige krankheitsbedingte Ausfall bleiben. Bei der Generalprobe hatte Morton Ernst Lassen den 'de Brétigny' bereits nur stumm gespielt, letztendlich war seine Halsentzündung bis zur Premiere nicht mehr in Griff zu bekommen. Noch am Premierenvormittag wurde Jean-Marie Delpas eingeflogen, der trotz nur einer eilig angesetzten Probe am Nachmittag seinen Part am Abend mit Bravour absolvierte. Auch um die 'Manon' der A-Premiere, Fionnuala McCarthy, hatte man bei der Generalprobe zwei Tage zuvor noch zittern müssen, am Premierenabend war von ihrer Erkältung jedoch nichts mehr zu spüren.
Fionnuala McCarthy als Manon
Fionnuala McCarthy
Die gebürtige Irin, die ihre gesangliche Ausbildung in Süd-Afrika und in Deutschland erhalten hat, ist seit der Saison '95/'96 festes Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin,  wo sie bereits in einigen lyrischen Partien zu hören war, außerdem gastiert die Sopranistin an vielen Opernhäusern Europas. In Massenets 'Manon' - anders als bei Prévost, bei dem Des Grieux vor allem der Protagonist ist - ist sie die Hauptperson und Fionnuala McCarthy verstand Manon ins rechte Licht zu rücken. Fragil und doch zugleich lebensfroh und lebenshungrig, den angenehmen Seiten des Lebens immer zugetan, aber letztendlich die Liebe doch höher einschätzend als die materiellen Werte, ist sie eine Person voller Launen, Wechselhaftigkeit und Sprüngen. Ein Opfer ihrer Jugend und ihrer Lebensgier, das Massenet geschickt verstand, musikalisch zu zeichnen, und Fionnuala McCarthy mit ihrem klaren Sopran und ihren romantisierenden, innigen Passagen imponierend ausfüllte. Im Libretto von Henri Meilhac (unter Mitarbeit von Philippe Gille) bleibt sie dagegen wie auch Des Grieux und Lescaut - bei Massenet ihr Cousin, bei Prévost ihr Bruder - viel verschwommener. "Es scheint," so Regisseur Cesare Lievi, "als hätte sich der Librettist an diesen auch noch für das 19. Jahrhundert gewagten, ja skandalösen Stoff im Gegensatz zu Massenet nicht so richtig herangetraut. Ich habe versucht, anhand der Romanvorlage den Personen mehr Profil zu geben." (Siehe ausführliches Interview mit Cesare Lievi) Dies ist ihm nur bedingt gelungen. So ist im Libretto und somit in der Oper Lescaut als Spieler aber kaum als Verbrecher und Zuführer von Manons Liebschaften zu erkennen. Nur in der Briefszene läßt sich durch Gestik und Darstellungsweise erkennen, daß Lescaut versucht, Des Grieux von Manon abzulenken, damit De Brétigny in der Zwischenzeit Manon seine Aufwartung und Avancen machen kann. Marc Barrard sang die Rolle des Lescaut sicher und mit wohltönenden Bariton. Wie Barrard gab auch der Tenor Paul Groves in 'Manon' sein Debüt an der Deutschen Oper Berlin. Der Amerikaner zählt zu den international vielversprechendsten jungen Tenören. Neben zahlreichen Auftritten seit 1992 an der New Yorker MET, deren Nachwuchsprogramm er angehörte, ist Paul Groves mittlerweile ein gefragter Gast an der Wiener Staatsoper und an der Mailänder Scala. Stimmlich überzeugend, mit Leichtigkeit in den Höhen und einem berührenden Touch vor allem in den Liebesduetten, gelang ihm darstellerisch der sich vom unbedarften Internatsabsolventen über dem aus Enttäuschung zum Priesteramt bekennendem zum für seine große Liebe Ehre und Moral opfernden Spieler nicht in allen Szenen ebenso eindringlich.
Cesare Lievis Regiekonzept stieß bei den meisten Zuschauern auf Akzeptanz bis Gefallen, wenn auch nicht auf großartige Begeisterung. Ablehnung brachten ihm vor allem einige Kritiker entgegen. Lievi hatte das Geschehen vom 18. Jahrhundert in die Zeit der Uraufführung (1884) verlegt, um wie er sagt, die Figuren und das Geschehen plausibler zu gestalten. Als Bühnenbild hat er über alle fünf Akte hinweg mit seinem Inszenierungteam mit Margherita Palli (Bühnenbild), Luigi Perego (Kostüme), Gigi Saccomandi (Licht) und Daniela Schiavone (Choreographie) ein einstöckiges Bahnofs-/Fabrikgebäude aus alten, trist-grauen, nietenbesetzten Stahlträgern mit Eisentreppen gewählt, in dem sich oder an dessen Rande sich alles abspielt. Zu diesem Bahnhofschiffre gehören auch ein bis zwei Eisenbahnwagons, die nur im ersten Akt, als das Bahnhofsgebäude auch ein Restaurant beherbergt, bei der Szene in Saint-Sulpice und bei der Hafenszene im fünften Akt, in der die Stahlträger zur Hafenkulisse werden, fehlen. Selbst die kleine Pariser Wohnung von Manon und Des Grieux ist in einem Eisenbahnwagon eingerichtet und auch bei der Volksfestszene des dritten und der Spielsalon-Szene des vierten Aktes bleiben die 'aufgeschnittenen' Eisenbahnwagons Teil des Bühnenbildes. Die Stimmung des Bühnenbildes ändert sich vorrangig durch die Beleuchtung. Die Kostüme sind farbenprächtig, insbesondere bei der Volksfestszene und dem darin vorkommenden Ballettauftritt der Pariser Oper, deren Mitglieder als 'Geister und Marionetten' den Bürgerlichen und den Adeligen in ihren barocken Pracht-Kostümen passend zu Massenets Musik den Spiegel vorhalten.
Auftritt der Opera
Auftritt der Opera
In der Spielsalon-Szene überwiegt Rot und Schwarz in den Kostümen die triste Stimmung des Bühnenbildes kontrastierend, wie die filigrane Musik häufig den tragischen Momente des Stoffes gegenübersteht und damit doch meisterlich die Oberflächlichkeit der Gesellschaft der 'belle époque' zur Zeit Massenets (und nicht nur zu seiner Zeit!), die nur nach Geld und Amusement strebt, veranschaulicht. Die innere Zerrissenheit, die Doppelbödigkeit der Moral, die schnellen Stimmungswechsel fängt Massenet mit einem Wechsel der Tonlage und Klangfarbe nach allen 20 bis 30 Takten ein. Für das bestens besetzte Ensemble und das Orchester eine nicht eben einfach zu lösende Aufgabe. Doch der französische Dirigent Cyril Diederich, der mehrere Jahr künstlerischer Direktor des Opernhauses in Montpellier gewesen und heute künstlerischer Leiter des Orchestre Symphonique in Rhin-Mulhouse ist , führte Ensemble und Orchester sicher und mit einer sich entwickelnden Leichtigkeit und Melodik über alle Klippen der Partitur.


Text und Photos Birgit Popp


Opera Notes