Porträt

Weltklassetenor mit geringem Bekanntheitsgrad

Portrait AragallGiacomo (Jaime) Aragall braucht sich hinter keinem seiner populärsten Tenorkollegen zu verstecken. Seine Stimme besitzt absolute Weltklasse und tiefberührende Schönheit, seine Erscheinung ist stattlich, sein Äußeres und seine Auftrittsweise angenehm, bescheiden, freundlich. Debütiert hat der 57jährige, im katalanischen Barcelona geborene Sänger bereits mit 22 Jahren an am Teatro La Fenice in Venedig und 1964 an der Mailänder Scala, danach folgten Auftritte an allen großen Opernhäusern der Welt wie der Wiener Staatsoper (Debüt 1966 als Rodolfo in 'La Bohème'), dem Londoner Convent Garden (Debüt 1967 als Herzog im 'Rigoletto') und der Metropolitan Opera New York (Debüt 1968 ebenfalls als Herzog). Auch in Deutschland ist er seit drei Jahrzehnten regelmäßig zu hören und zu sehen, so in Köln (Tosca, Verdis Requiem), Berlin, Hamburg, Frankfurt und München. Gefeiert wurde Aragall vor allem im italienischen Repertoire von Verdi, Puccini und Bellini als lyrischer Tenor, ebenso aber auch als Interpret der Opern der französischen Komponisten Jules Massenet und Charles Gounod. Dennoch, die Popularität eines Plácido Domingos oder Luciano Pavarottis hat der stille, zurückhaltende Sänger nie erreicht. Die Gründe werden schnell erkennbar. Er selbst sagt von sich, daß er kein Marketing mag. Eine Rolle im heutigen Business spielt sicherlich auch, daß er neben Spanisch zwar Italienisch und Französisch, aber kaum Englisch spricht.

Bereits mit neun Jahren ist Aragall in den Kirchenchor eingetreten. "Musik ist mein Leben," sagt der sensible Künstler heute, dessen Stimme jeden erfassen muß. So wollte er nie etwas anderes als Opernsänger werden. Mit 18 Jahren begann er sein Studium bei Jaume Francesco Puig, der später auch José Carreras unterrichtete. Nach einem ersten Preis beim Gesangswettbewerb in Bilbao erhielt Aragall ein Stipendium in Italien, das ihm lange Zeit zur zweiten Heimat wurde.

Sensibilität und Einfühlungsvermögen in die Opernpartien scheinen sich oft nur schwer mit einem starken Nervenkostüm vereinen zu lassen. So ist Aragall für seine Nervosität vor seinen Auftritten bekannt, doch in ihm herrscht durchaus Sportsgeist. 1960 sollte er bei den Olympischen Spielen in Rom Spanien als Geräteturner vertreten, doch ein gebrochener Finger verhinderte seinen Olympischen Einsatz. Dieser erfolgte erst 32 Jahre später bei der Eröffnungsfeier zu den Olympischen Spielen in Barcelona an der Seite von Domingo, Carreras und Caballé. Auch nach vielen Jahren in Italien ist Aragall seiner katalanischen Heimatstadt treu geblieben. Hier sind er und seine Familie zu Hause. Seine drei Söhne, so der stolze Vater, lieben alle Musik, aber beruflich haben sie mit diesem Metier nichts zu tun. Regelmäßig Sport treibt der ehemalige Turner heute nicht mehr, aber Betätigungen wie Segeln und Angeln zählen zu seinen Hobbies.

Aragalls Repertoire umfaßt 35 Rollen. Früher trat er rund siebzigmal im Jahr auf. Seine Stimme ist auch mit 57 Jahren noch voller Frische und jugendlicher Kraft, wie ist ihm dies gelungen ? "Ich habe die Rollen immer so ausgewählt, daß sie zu meiner Stimme passen., " stellt der Künstler fest, "In den letzten Jahren habe ich weniger Opern gesungen, dafür mehr Konzerte gegeben und mir mehr Freizeit gegönnt." Seit sechs Jahren steht er dabei auch als Solist, nur mit Klavierbegleitung, auf der Bühne.

Überwältigende Erfolge feierte er im 1996 bei seinem ersten Liederabend in Deutschland in München und im Frühjahr '97 in Wien. Während seiner über dreißigjährigen Karriere hat es auch einige Krisen gegeben, von denen er sich aber immer wieder erholt hat, "In jeder Karriere gibt es Höhen und Tiefen, aber ich habe nie aufgehört, am Theater zu arbeiten. Die Kraft immer wieder auf die Bühne zurückzukehren, hat mir die Liebe zur Musik und zur meiner Arbeit gegeben." Und, er wurde von seinem Publikum neben seinen sängerischen Qualitäten immer für seine einfühlsame Darstellung geschätzt, "Mir gefällt es sehr, eine Rolle zu singen, in eine Persönlichkeit einzudringen, sie zu leben, sie zu singen, dem Publikum den Eindruck zu vermitteln, daß es mein eigenes Leben wäre."

Ganz im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand Aragall bei der im Oktober erfolgten Wiedereröffnung des Teatro Real, des Königlichen Madrider Opernhauses. Dort debütierte er beim Eröffnungsabend in Anwesenheit des spanischen Königs in der Rolle des Paco in Manuel de Fallas Oper 'La vida breve' ('Das kurze Leben'). Für ihn eine besondere Ehre, "Es ist zwar nur eine kurze Oper, aber es war die männliche Hauptrolle und, wann immer man von der Eröffnungsfeier spricht, wird man auch meinen Namen nennen, das ist eine große Ehre für mich." Weitere Verpflichtungen am Madrider Opernhaus sind im Gespräch. Im Oktober '98 wird er mit seiner Lieblingsoper 'Tosca' an der MET gastieren. Schwerpunkte seiner Liederabende und in seinem Gesamtrepertoire sind die Werke von Verdi, Puccini und Massenet. Besitzt einer dieser Komponisten eine besondere Bedeutung für ihn ? "Vielleicht Puccini, seine Melodien gehen direkt ins Herz, " stellt Aragall fest. Besonders dann, wenn sie mit soviel Gefühl interpretiert werden, wie von ihm . Das bewies der spanische Tenor auch bei seinem Tosca-Auftritt am 22. Mai 1998 an der Wiener Staatsoper, wohin er nach dreijähriger Abwesenheit stürmisch gefeiert von seinen Fans unter dem Dirigat von Plácido Domingo zurückkehrte. An Aragalls Seite gab die in Westsibirien geborene Sopranistin Galina Gorchakova ein glänzendes Beispiel dafür, daß die Tosca zu einer Ihrer Paraderollen zählt.

Birgit Popp

Giacomo (Jaime) Aragall als Bajazzo
Auftrittstermine von Giacomo Aragall
Aragall als Bajazzo
28., 31. Oktober und
4, November 1998

New York MET

Tosca
4. und 6. Dezember 1998 Palma de Mallorca Adriana Lecouvreur
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Opera Notes