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Werther
Die konzertante Aufführung von Jules Massenets 'Werther' wurde am 28. Juni zu einem
Opernabend, für den viele Superlative gezückt wurden und an dem der tosende Applaus kaum
enden wollte. Obwohl eigentlich eine konzertante Aufführung wurde sie eindringlicher als
es jede szenische hätte sein können. Dazu beigetragen hat nur begrenzt die
Bühnendekoration, die das Stück auf die Lichtung eines grünen Waldes versetzte, auf der
das Orchester spielte (wobei 'Werther' zur Weihnachtszeit beginnt und endet, insofern
waren die grün-belaubten Bäume an den Bühnenseiten eine nicht ganz geschickte Wahl).
Optisch brachte auch der Wechsel zwischen hellem und dunkelblauem Hintergrund,
zwischen Tag und Nacht Simmungsänderungen zum Ausdruck. Den größten Anteil an der
eindringlichen Wirkung hatten jedoch vielmehr die Darstellungsweisen der Sänger und
Sängerinnen, die Aufteilung der Bühne und die Auf- und Abgänge der Künstler. Wie bei
einer szenischen Darstellung waren immer nur die Akteure auf der Bühne anwesend. Aber
Werther ist auch kein Stoff, der eine szenische Umsetzung benötigen würde, denn
das Drama spielt sich in den Menschen ab, und musikalisch gesehen wurde es ohne Szenenbild
fast noch eindringlicher. Wie sehr Alfredo Kraus den Werther über die vergangenen drei
Jahrzehnte verinnerlicht hat, wurde bereits offenbar, als der mittlerweile siebzigjährige
Grandseigneur der Opernwelt zum ersten Mal die Bühne betrat: seine Physiognomie ganz die
eines leidenden, suchenden Menschens, der geistesabwesend über die Zuschauer hinweg sah.
Schon bei diesem ersten Erscheinen Werthers war die ganze pessimistische Grundhaltung
seiner Person, die Todessehnsucht, die Leiden und Qualen zu spüren, noch bevor er den
Schmerz der unerfüllten Liebe erfahren mußte. Was den spielerischen Charakter der
Darstellung noch unter- strich, war die Tatsache, daß Alfredo Kraus, der sich auch ohne
langwierige Arbeit der Maksenbildner noch immer als Fünfzigjähriger ausgeben kann, in
seiner Paraderolle keinen Blick in die Partitur werfen mußte. Wie bei einer
Operninszenierung sang er frei und agierte auf offener Szene. Da wurde geküßt oder
zumindest der Versuch dazu gestartet (Vasselina Kasarova nahm das Küßchen, das sie
während des Aktes als Charlotte verweigerte, gerne nach dem Akt als Zeichen der
Anerkennung von Alfredo Kraus an), umarmt und gestorben, wenn auch im Stehen. In der
darstellerischen Leistung und Innigkeit stand Vasselina Kasarova Alfredo Kraus kaum nach.
Alfredo Krauses Stimme leuchtet noch immer mit Leichtigkeit und Brillanz in den Höhen und
ist mit einem schier unendlichen Atem ausgestattet, gleiches kann man auch von Vasselina
Kasarova sagen. Da sitzt ein Ton wie der andere, da gibt es kein Forcieren. Die
bulgarische Mezzosopranistin, die in kürzester Zeit zum Weltstar avanciert ist,
machte ihrem Ruf alle Ehre, die lyrischen und dramatischen Qualitäten ihrer Stimme sind
unbestritten. Ihr gelang es ganz die Herzenswärme und Liebenswürdigkeit Charlottes, aber
auch ihre innerlich immer stärkere Zerrissenheit bishin zum offenen Eingeständnis ihrer
Liebe zu dem im Sterben befindlichen Werther auszudrücken. |