Presse

Pressestimmen zu 'Guillaume Tell' von Gioacchino Rossini an der Wiener Staatsoper (Premiere: 24. Oktober 1998)


Die Presse, Wien, 27. Oktober 1998

Rossinis 'Wilhelm Tell' mit Dirigent Fabio Luisi als wahrem Star des Abends

 

Kronen-Zeitung, Wien, 27. Oktober 1998

Kitsch, Ramsch, Trödel

..Das Buhkonzert des erbosten Publikums am Schluß war vorauszusehen. Um so mehr, als Pountney und Hudson sich offenbar nicht einigen konnten, ob sie Rossinis Figuren ernst nehmen oder zynisch als lächerlich entlarven sollten. Sie bescheren eine skurrile Lederhosen-Inszenierung voll Folklore-Ramsch: [..] Die Balletteinlagen sind bloß peinlich. Und der Schuß, mit dem Tell den Apfel auf dem Kopf seines Sohnes treffen muß, wird zum lächerlichen Zeitlupenspiel. [..] Immerhin war es ein Riesenerfolg für das Ensemble. Fabio Luisi am Pult gibt Rossinis kulinarisch-luxuriöser Rarität Klangfülle und Farbenpracht. ....

 

Kurier, Wien, 27. Oktober 1998

Tells Apfelschuß, ein Volltreffer

..In Buhs & Bravos trennte sich das Publikum auch diesmal, Pountney & Choreograph Renato Zanella bekamen Buhs ab, Dirigent Fabio Luisi und die Sänger standen auf der Jubelseite. ...

 

Kurier, Wien, 27. Oktober 1998

Singen können sie am Ring

Rossinis 'Guillaume Tell' in grandioser Besetzung und einer fortschrittlichen Deutung

..David Pountney, Richard Hudson und Renato Zanella enttäuschten nicht. [...] Daß selbst die 'klugen' Ideen - geschundene Schweizer reichten in größter Spannung Tells Geschoß bis hin zum Apfel auf dem Kopf von Tells Sohn  - Gelächter provozierten, bewies: Bei der Gratwanderung, die heutzutage Regisseure vollbringen, stürzt man ab. Vor allem, wenn man partout darauf setzt, mehr Aufmerksamkeit erringen zu wollen, als der Komponist.

 

Neues Volksblatt, Wien, 27. Oktober 1998

Tell im Spielzeugland

Opernfreunde, die nächsten Samstag im Ö 1, die Übertragung von Rossinis 'Guillaume Tell' aus der Staatsoper hören, brauchen nicht zu bedauern, daß sie das Werk nicht auch sehen können. Die Wiener Erstaufführung der französischen Originalfassung ist optisch ein oft ins Lächerliche geratender Heldenkampf im Spielzeugland. In einer Miniaturlandschaft stehen große, hölzerne Puppen, marschieren winzige Zinnsoldaten, gleiten große und kleine Schifferl über den blauen Himmel, der in dieser Bilderbuchidylle zugleich der Vierwaldstätter See ist. Das Premierenpublikum quittierte diese Regie- und Ausstattungsideen mit Buhgeschrei. [...] Die über allen Nonsens erhabene Titelfigur gestaltet Thomas Hampson ganz aus eigener Kraft und Persönlichkeit, mit einer Stimme, die an Schönheit, Volumen, Nuancenreichtum ihresgleichen sucht. Weder Giuseppe Sabbatini, als junger Melchthal mit extremen Spitzentönen auftrumpfend, noch der warme Sopran der Nancy Gustafson als Mathilde kommen an eine solch souveräne Leistung heran. [..] Der Sonderbeifall für den kraftvoll und klangrein singenden Chor war ebenso verdient wie die Begeisterung für das Orchester, das unter Fabio Luisi der Aufführung die musikalische Dramatik sicherte, die die szenische schuldig blieb.

 

Standard, Wien, 27. Oktober 1998

Der Rebell im Vergnügungspark

..Allerdings: Bei aller Verspieltheit und bei allem Mißtrauen gegen folkloristische Idylle sind Pountney der Erzählfluß der Geschichte und die Atmosphäre nicht abhanden gekommen. Und zweifellos hat er auch die Psychen der Figuren nicht leichtfertig am Altar der Gags geopfert. Meisterschütze Tell etwa. Thomas Hampson (stimmlich grandios) darf die Figur durchaus ernst nehmen und facettenreich zeichnen. [..] Seine heikle Partie meistert der Tenor (Giuseppe Sabbatini) jedoch tadellos. Wenngleich sein Timbre nicht jedermanns Sache sein muß, war Sabbatini eine Stütze des musikalisch gelungenen Abends. Wie auch Dirigent Fabio Luisi. [..]  Allgemeiner Jubel, nur Pountney spaltete das Auditorium. Applaus und Ablehnung hielten sich aber jederzeit die Waage.

 

Täglich Alles, Wien, 27. Oktober 1998

Tell - Apfelschuß ins Bunte

Premierenerfolg für ein bunt und ironisch aufgemascherltes Rossini-Spektakel in der Wiener Staatsoper

 

Kleine Zeitung Graz, 27. Oktober 1998

Ironisches Freiheitsdrama

Nach 91 Jahren kehrt Gioacchino Rossinis Meisterwerk 'Wilhelm Tell' an die Wiener Staatsoper zurück - in einer umstrittenen Inszenierung

.. Obwohl Regisseur David Pountney vor der Premiere erklärte, 'daß die Länge der Oper auch schon einen Teil ihrer Qualität ausmacht', fiel über eine Stunde Musik - drastisch gekürzt wurde vor allem der dritte Akt - unter das Pult. Der verbliebene Rest befindet sich jedoch in allerbesten Händen und Kehlen. Am Dirigentenpult rückt Fabio Luisi bei seiner dritten Staatsopernpremiere die überragenden Qualitäten von Rossinis letzter Opernpartitur, in der sich italienische Kantabilität mit französischem Pathos und deutschem Sentiment zur Synthese vereint, ins schönste Licht. [...]. Eines ersten Hauses würdig war auch das vokale Niveau, das Mathias Zachariasen in der ersten Szene als Fischer mit zwei sicheren hohen C vorgab und zu dem der von Ernst Dunshirn einstudierte Chor entscheidend beitrug. Mit zwingender stimmlicher und gestalterischer Präsenz zeichnete Thomas Hampson als Titelheld mit fein differenziertem baritonalen Wohllaut das facettenreiche Porträt eines liebevollen Vaters und flammenden Patrioten. [..] Nicht weniger als 18 hohe C und zwei hohe Cis (die damals freilich im Falsettone gesungen wurden) schreibt Rossini dem Sänger des Arnold vor. Giuseppe Sabatinni, dem dieses Pensum durch Striche etwas reduziert wurde, bewältigte diese Stratosphärenflüge mit hinreißender Leichtigkeit. [...] Nancy Gustafson gestaltete die große Sopranrolle der Mathilde mit subtilen Zwischentönen, in dem kleineren Mezzosopranpartien ließen Mihaela Ungureanu als Tells Gattin Hedwig und Dawn Kotoski als Tells Sohn Jemmy keine Wünsche offen. Hohe Ensemblequalitäten garantierten nicht zuletzt die Vertreter des Baßfaches, Walter Fink als gemütlicher Melchthal, Wojtek Smilek als entschlossener Walter Fürst, Egils Silins als sadistischer Geßler sowie Yu Chen als verzweifelter Leuthold. Auf erheblichen Widerspruch stieß die szenische Realisierung durch Regisseur David Pountney und Ausstatter Richard Hudson, die dem auf Schiller beruhendem Freiheitsdrama mit viel Ironie begegneten, die von Choreograph Renato Zanella zur Groteske gesteigert wird. [...]

 

Oberösterreichische Nachrichten, 27. Oktober 1998

Ein Geniestreich wird zur Persiflage

 

Salzburger Nachrichten, 27. Oktober 1998

Ein Handpfeil macht noch keinen Tell

..So blieb's denn - bei schlechtem und ungenauem Licht (Robert Bryam) besehen - beim Rampentheater ohne zwingender Personenführung, die Bühne dauernd mit irgend etwas Hin- und Hergeschobenem vollgeräumt; insgesamt harm- und zahnlos.[...] Hätte er (David Pountney) freilich durchgängig ähnlich gute Ideen gehabt wie bei Tells Apfelschuß in Zeitlupe, bei dem der rote Pfeil (durchaus im Einklang mit der Musik) in einer Menschenkette bis zum glücklichen Eintreffen im Apfel auf Tells Sohnes Kopf weitergereicht wird, hätte auch aus dieser Produktion durchaus etwas werden können. [..] Langatmig war's aber nicht nur durch Herrn Pountneys Schuld, sondern auch von Dirigentenhand. Fabio Luisi zeigte sich dem so traditionellen wie beliebten Langsam-Hurtig-Prinzip verpflichtet, ließ über weite Strecken viel zu laut musizieren, hielt aber das Ensemble wacker und mit unter auch mit Spannung zusammen. Der Staatsopernchor bot unter der Leitung von Ernst Dunshirns eine exzellente Leistung. Thomas Hampson meisterte die Titelpartie mit der gewohnten stimmlichen Eleganz, wirkt aber schauspielerisch alleingelassen. Nancy Gustafson singt die Mathilde ohne stimmlichen Glanz und die Koloraturen ohne Brio. Blaß bleibt auch die auf ihren Hochsitz gefesselte Mihaela Ungureanu als Tells Frau Hedwig. Giuseppe Sabbatini hingegen reüssiert als Arnold. Eglis Silins [...], John Dickie [...], Walter Fink [...] und Dawn Kolowski [...] setzten sich in den kleineren Rollen positiv ins Bild; ebenso Mathias Zachariasen als Fischer ... 

 

Züricher Zeitung, 27. Oktober 1998

Grosse Oper, kleine Schweiz

... Die letzte Oper Rossinis ist in gewissem Sinne auch eine erste, genau an der Schnittstelle zwischen Opera seria und Grand Opéra situiert. Welcher Aspekt dominieren soll, hat jede Inszenierung neu zu bestimmen. .. Wien hat sich, [...], schon mit der Wahl der französischen Fassung, für die Grand Opéra entschieden und das durch die Verpflichtung David Pountneys als Regisseur bekräftigt. Seit seinen Produktionen auf der Bregenzer Seebühne gilt er als Spezialist für Spektakuläres jeglicher Couleur, und sein fulminanter Wiener 'Rienzi', ein echter Wurf, hat dieses vollauf bestätigt.

[...] Doch wozu das Ganze (= Ausstattungsaufwand) ? Bei 'Rienzi' war es klar: Die monumentale theatralische Zuschaustellung sollte die hohle Bombastik des Stückes ad absurdum führen. Das Mittel dazu war Ironie. Für 'Tell' taugt dies jedoch nur bedingt. Gewiss ist es keine 'echte' Urschweiz, die Rossini hier mit soviel koloristischem Raffinement musikalisch verbildlicht, aber ebensowenig ist es eine 'falsche', die blossgestellt werden müsste. Das Werk hat seine eigene Wahrheit, die es für jede Zeit wieder neu zu entdecken gilt. Und eben damit tat sich Pountney schwer. Als wüsste er selbst nicht, was er mit diesem Stück eigentlich will, fluktuiert er Szene für Szene zwischen Ernst und Ironie, und wenn er sich im dritten und vierten Akt doch zu den Figuren als Trägern von Gefühlen bekennt und die Ausstattung reduziert, ist es zu spät.[..]

Solche Ziellosigkeit kennzeichnet auf weite Strecken auch die musikalische Wiedergabe. [..], doch insgesamt pflegt der Dirigent Fabio Luisi mehr einen auf dynamische und tempomässige Kontrastwirkungen angelegten Al-fresco-Stil. Auch in der Sängerbesetzung sind die Glanzlichter rar, heben sich die Protagonisten zu wenig von der soliden Basis ab. [...] 'Aspekte von der Natur zu zeigen' sei sein und Hudsons (Bühnenbildner) Ziel', hat Pountney verlauten lassen. Beide haben es gründlich verfehlt, zusammen mit den Sängern, die ihren Platz im Niemandsland zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit suchen.


Opera Notes