Wiener Staatsoper, 27. u. 30. Januar 2001
Zum 100. Todestag Verdis
Otello

Renato Rruson und José Cura
Grandioser Klang zum 100. Todestag
Einen grandiosen Klangteppich breitete Marcello Viotti mit den Wiener Philharmonikern
zum 100. Todestag von Giuseppe Verdi aus und schuf den Solisten und dem Chor eine
Klangwolke, auf der sie emporsteigen konnten: Renato Bruson als in seiner Heimtücke und
Heuchelei faszinierender Jago, Soile Isokoski als lieblich-anruührende Desdemona und
José Cura als sich vom rechtschaffenen Sieger zum gebrochenen Mörder wandelnder Otello.
Die Harmonie zwischen Orchestergraben und Bühne, die in den Verdi-Wochen nicht immer in
diesem Maße bestanden hatte, war sicherlich auch ein Verdienst der Orchesterprobe, die
Marcello Viotti zugestanden worden war.
Verdi, der immer den Sängern Präferenz gab, hätte mit Sicherheit seine Freude am
Orchesterspiel der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Marcello Viotti anläßlich
seines 100. Todestages besessen. In den großen Chroszenen schon zu Beginn bei Blitz und
Donner mit Feuer und Esprit aufspielend nahm Marcello Viotti in den meist mit mezza vocce
gesungenen Solo- und Duettszenen das Orchester gegenüber den Sängern wohltuend zurück
und ließ vor allem Renato Bruson als intrigantem Jago, dem eigentlichen Protagonisten
Verdis und seines Librettisten Arrigo Boito, die volle Entfaltungsmöglichkeit für sein
teufliches Spiel.
Auch an Bruson hätte Verdi sicherlich seine Freude gehabt, der der
Personenbeschreibung Boitos und Verdis folgte: 'Jago ist ein Böewicht. Er sieht das Böse
in den Menschen, in sich selbst (Son scellerato perché son uomo/ich bin ein Bösewicht,
wieil ich ein Mensch bin). (...) Er tut das Böse um des Bösen willen. Er ist ein
Künstler der Hinterlist. (...) Jago ist der wahre Urheber des Dramas, er ersinnt die
Fäden, nimmt sie auf, verknüpft sie, verflicht sie. (...) Jedes Wort Jagos stammt von
einem Menschen, von einem niederträchtigen Menschen, aber doch einem Menschen. (...) Er
soll gut aussehen und jovial, aufrichtig und fast gutmütig wirken; er wird von allen
außer seiner Frau, die ihn gut kennt, für ehrenhaft gehalten. Wenn er nicht über den
großen Reiz einer angenehmen Erscheinung und scheinbarer Aufrichtigkeit verfügte,
könnte er durch Täuschung nicht so mächtig werden, wie er ist. (...)' Brusons
intelligente Personengestaltung, seine Stimmführung, seine Noblesse bei aller Heimtücke
und Heuchelei, sein fulminantes Credo fesselten und ließen den Zuschauern einen kalten
Schauer über den Rücken laufen. Gnade jedem Menschen, der diesem 'Teufel' in die Hände
fiele und der doch soviel Menschlichkeit dabei ausstrahlt !

Soile Isokoski und José Cura als Desdemona und Otello
Photos: Axel Zeininger
Auch Soile Isokoski, die in den beiden vergangenen Jahren das Wiener Publikum bereits
als Jüdin (La Juive) in der Titelpartie neben Neil Shicoff begeisterte, verinnerlichte
ihre Rolle als tugendhafte, Otello bis in den von ihm verursachten Tod liebende Desdemona
völlig. Das Lied an die Weide sang sie mit viel Hingabe und Sanftheit. Eine liebliches,
anrührendes Opfer von Otellos Eifersucht und Jagos teuflicher Ränke.
Ob denn nun Verdi seine Freude an José Cura in der Titelpartie gehabt hätte ? Die
Forderung des Maestros und Curas eigenem Anspruch, den Otello nicht zu schreien, sondern
zu singen, entsprach der argentinische Tenor ohne Zweifel und auch im Piano und Dulce
erfüllte seine kraftvolle Stimme mühelos die Wiener Staatsoper. Doch trotz einer
schönen Mittellage, die vor allem in den Duetten mit Desdemona sehr anrührende Passagen
aufwies und sehr gefallen konnte, klang seine Stimme oft kehlig und seine Töne nicht sehr
ebenmäßig. Auch seine Darstellung des Otellos, bei der er sich in der Inszenierung der
Wiener Staatsoper vor allem an den Glanzlichtern messen lassen mußte, die Plácido
Domingo voll inbrünstiger Emotionalität an diesem Haus gesetzt hatte, ist weniger
überzeugend. Der Wandel vom siegreichen, machtvollen, aufrechten Krieger zum gebrochenen,
zum Verbrecher werdenden Mann vollzieht sich nicht glaubhaft genug. Aber Cura steht noch
am Anfang seiner Otello-Karriere, sicherlich lassen sich Feinheiten noch herausarbeiten.
Was seine Stimme betrifft, vielleicht spielte am Todestag Verdis auch eine gewisse
Nervosität mit. Bei der zweiten Vorstellung am 30. Januar klang seine Stimme freier und
schöner. Als in allem zwei dem Anlaß würdige Vorstellungen eines genialen Werkes, das
in unnachahmlicher Weise Musik und Drama vereint und in der Inszenierung von Peter Wood
(Bühnenbild: Stephen Lewis, Kostüme: Luciana Arrighi) in stimmiger Weise auf die Bühne
gebracht wird.
Birgit Popp |